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Vorsicht: Mumien im Antikenmuseum!

Die Basler Portraitmumie eines Römers

Autor: Dr. André Wiese, 

Leiter Dauersammlung & Sonderausstellungen

 In der neu konzipierten Ägyptensammlung des Antikenmuseums treffen die Besuchenden gleich auf mehrere Mumien. Da stellt sich die Frage, ob die Präsentation menschlicher Überreste heute ethisch überhaupt noch vertretbar ist. Man kann darüber verschiedener Ansicht sein. Die einen finden es hoch spannend, die anderen gruselig und manche sind gar der Meinung, dass man dies nicht tun sollte, da dies nicht konform ginge mit der Würde des Menschen.

Eine aktuelle Studie aus Leiden von Iris van Veen, in der es allgemein um die Präsentation von Mumien bzw. menschlichen Überresten in Museum geht, also nicht nur um ägyptische, sondern auch um Mumien anderer Kulturen, kommt zu einem überraschenden aber überzeugenden Schluss: Wenn das Ursprungsland, aus dem die Mumie stammt, in seinen eigenen Museen Mumien ausstellt, so ist es auch zulässig aus demselben Land stammende Mumien in Museen anderer Länder zu zeigen. Dies trifft ganz entschieden für die ägyptischen Mumien zu. Auch Museen anderer Länder wie z. B. Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich zeigen Mumien bzw. menschliche Überreste ihrer eigenen Kultur. Nicht denkbar wäre dies in Neuseeland, wo keine menschlichen Überreste der Maorikultur gezeigt werden dürfen. Viele europäischen Museen halten sich nun bereits an diese neue Regelung.

Felix Bonfils – Mumienhändler

Wenig bekannt ist, dass bereits frühe Reisende im 17. Jahrhundert Mumien nach Europa mitnehmen. Bei der Wiederentdeckung des alten Ägyptens im 19. Jahrhundert entdeckt man später Tausende von Mumien.

Wissenschaftler wie Laien sind fasziniert von den eingewickelten und hervorragend konservierten Körpern. Jedes Museum möchte solche besitzen und zeigen. Die Nachfrage steigt derart an, dass Fälschungen von Mumien hergestellt werden.

1908: Margaret Murray (1863–1963) beim Öffnen zweier Mumien an der Universität Manchester.

1908 stellt die englische Ägyptologin Margaret Murray (1863–1963) erstmals ein interdisziplinäres Spezialisten-Team aus den Gebieten Anatomie, Chemie und Textilien zusammen. Unter Anwesenheit von Zuschauern öffnen die Wissenschaftler zwei Mumien an der Universität Manchester. Diese Autopsie gilt als Vorreiter aller folgenden wissenschaftlichen Mumienöffnungen. In der Tat liefern Mumien heute mehr denn je wichtige Informationen zu Alter, Lebensweise und Krankheiten der Menschen von damals. Anhand von Genanalysen können die Forscher gar verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Verstorbenen herstellen. Mumien sind aber nicht nur Forschungsobjekte, sondern Individuen mit eigenem Schicksal, deren Untersuchungen heutzutage mit gebührenden Respekt erfolgt. Dank moderner Computertomographie (CT) und Magnet-Resonanz-Bildgebung (MRI) kann man eine Mumie «auspacken», ohne sie zu beschädigen. An vielen universitären Institutionen existieren heute eigene Disziplinen, die sich der Erforschung der Mumien widmen, so auch in Zürich. Professor Frank Rühli z. B. leitet das «Swiss Mummy Project», ein weltweit führendes, langjähriges Mumienprojekt der Universität Zürich mit dem Ziel, transdisziplinär Informationen zu Leben, Tod und Mumifizierung von historischen Mumien zu erhalten. Die wichtigsten Mumien aus diversen Kulturkreisen in Schweizer Sammlungen wurden bereits von ihm untersucht.

Doch wieso haben die Ägypter überhaupt Leichname mumifiziert und wie haben sie es gemacht? Nach dem Totenglauben der Ägypter ist die Erhaltung des Körpers für ein ewiges Leben nach dem Tod unabdingbar. Der Körper dient als Wohnung für die Seele, die sich zeitweise von ihm entfernen kann. Deshalb konservieren sie den Leichnam, damit er für das Leben im Jenseits ewiglich zur Verfügung steht. Die Ägypter glauben, dass der Ka (Lebenskraft) und der Ba (Beweglichkeit) als Seelen im Menschen innewohnen. Beide führen nach dem Tod ein Eigenleben: Sie treten bzw. fliegen durch eine Scheintüre im Grab in die Welt der Lebenden, um dort Nahrung in Form von Totenopfer entgegenzunehmen. Später kehren sie in die Unterwelt zurück und vereinen sich wieder mit ihrem Leib. So kann der Mensch als Ganzes nach dem Tod fortleben, wird aber durch die genährten Seelen kontinuierlich gestärkt.

Zuständig für die Mumifizierung ist der schakalköpfige Einbalsamierungsgott Anubis, in dessen Rolle die Totenpriester treten. Eine Mumifizierung dauert im Idealfall 70 Tage. Zunächst erfolgt die Entnahme des Gehirns durch die Nasenöffnung. Die Eingeweide entnimmt man durch einen Schnitt an der linken Bauchseite. Die Organe werden separat konserviert und in vier Kanopenkrügen mit ins Grab gegeben. Alleine die Austrocknung des Körpers mit Natron bzw. Salz dauert bis zu 40 Tagen. Dabei verfärbt sich der Körper dunkel. Danach wird der Körper mit duftenden Ölen einbalsamiert und die Körperhöhlen mit öl- oder harzgetränkten Tüchern gefüllt. Es folgt die Einwicklung des Leichnams mit Leinenbinden. Ein Priester führt an der vollendeten Mumie das Mundöffnungsritual durch und haucht damit der Mumie neues Leben ein.

Der schakalsköpfige Einbalsamierungsgott Anubis

 Kommen wir zur Mumie unseres Römers (BSAe 1030) mit dem noch eingesetzten sog. Faijum-Portrait über dem Gesicht. Mit der Eroberung Ägyptens 30 v. Chr. durch Octavian, der sich später Augustus nennt, wird das Land am Nil eine Provinz des römischen Weltreiches. Obschon sich die römischen Kaiser in der Folge als Pharaonen darstellen und verehren lassen, wird die Provinz durch einen in Rom ernannten Präfekten verwaltet. Immerhin wird Ägypten wegen seiner Bedeutung als wichtigste Kornkammer des Imperiums dem Kaiser direkt unterstellt. Eine dünne römische Oberschicht von Verwaltungsbeamten bekleidet alle höheren Ämter, der makedonische Adel behält seine Privilegien und Griechisch bleibt Amtssprache. Dennoch muss das pharaonische Ägypten auf die Römer eine unglaubliche Faszination ausüben, denn die Eroberer unterwerfen sich bedingungslos dem ägyptischen Götter- und Totenglauben ganz nach dem Dictum, dass der Besiegte den Sieger prägt.

Eine wirtschaftliche Bedeutung sondergleichen erhält das Faijum in griechisch-römischer Zeit. Ptolemaios I. vollendet die Trockenlegung der Sumpflandschaft und lässt zusätzlich die Wüstenrandzonen mit Hilfe von sesshaft gewordenen griechischen Söldnern bewässern. 30 bis 40 neue Städte entstehen als kleine Zentren griechisch-hellenistischer Kultur. Das wirtschaftliche und kulturelle Leben blüht bis ins 4./5. Jahrhundert n. Chr. Am Ende des 3. Jahrhunderts allerdings holt die Wüste das Fruchtland allmählich wieder ein und die Verödung des Faijums beginnt. Die grossen Städte mit ihren Tempeln versanden. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass uns die Stadtanlagen, vor allem die kulturelle Hinterlassenschaft der Bewohner vorzüglich erhalten ist. Zeugnisse aus dieser Zeit sind unzählige Terrakotten, griechische Papyri und die berühmten Mumienporträts, die wie eingangs erwähnt auch Faijum-Porträts genannt werden.

Im ägyptischen Kunstschaffen treten um die Zeitwende vermehrt hellenistisch-römische Einflüsse hervor. Besonders im Bereich der sepulkralen Kunst gewinnt der römische Geschmack an Bedeutung. Die idealisierten, unpersönlich wirkenden ägyptischen Kartonagemasken, wie sie noch in grosser Zahl in ptolemäischer Zeit hergestellt werden, werden während der Kaiserzeit durch Mumienporträts und gegossene Stuckmasken abgelöst, die direkt über dem Gesicht des Verstorbenen in die Mumienumwickelung eingebunden werden. Die Motive der früheren Mumienauflagen aus Kartonage überträgt man in Malerei auf die Leichentücher, mit denen man die Mumie umhüllt. Die Mumienporträts sind in einer Technik gemalt, die man Enkaustik nennt. Die heute noch leuchtenden Wachsfarben werden in warmen Zustand mehrschichtig auf eine dünne Holztafel aufgetragen, wobei man nicht nur Pinsel, sondern auch verschiedene Spachteln verwendet. Die Bilder auf dem Leichentuch sind mit Temperafarben aufgetragen und partiell vergoldet. Im Gegensatz zur Enkaustik werden die Farbpigmente der Tempera mit Eiweiss angerührt.

Die frühen Mumienporträts, zu denen auch das Beispiel aus dem Antikenmuseum gehört, zeigen mehrheitlich individuelle Züge, obwohl auch sie einer gewissen Typisierung unterliegen, die durch die aktuelle römische Mode geprägt ist. Die serienmässige Produktion in der Endphase führt im 4. Jahrhundert zu ikonenhaft erstarrten Bildnissen. Einen Zusammenhang mit den frühchristlichen Wachsikonen aus Ägypten ist unübersehbar. Die Datierung der Mumienbildnisse erfolgt im Wesentlichen aufgrund der Haar- und Barttracht, eine Datierungsmöglichkeit, die bereits der englische Ägyptologe W. M. F. Petrie (1853–1942) erkennt. Selbst kleinste Details der Tracht entsprechen den stadtrömischen Marmorporträts. Auf 100 normale Mumien kommen ca. zwei bis drei Porträtmumien. Es handelt sich dabei also um eine sehr exklusive Bestattungsart, die sich nur Mitglieder der Oberschicht leisten können. Wie Befunde nahelegen, werden manchen Mumienporträts wohl vielfach bereits zu Lebzeiten angefertigt und zu Hause aufbewahrt. Sie zeigen den Verstorbenen daher in voller Lebenskraft und nicht zum Zeitpunkt des Todes. Die Tradition der Mumienporträts endet im ausgehenden 4. Jahrhundert n. Chr., als Theodosius I. die Ausübung heidnischer Kulte unter Strafe stellt.

Die römischen Mumien mit eingesetzten Mumienporträts stellen eine eigentümliche Mischung zwischen altägyptischen Jenseitsvorstellungen und hellenistisch-römischer Porträtkunst dar. Während die Mumie den Leib konserviert, soll das Porträt über den Tod hinaus die Individualität des Verstorbenen bewahren. Die Basler Mumie mit noch eingesetztem Mumienporträt ist ein eindrückliches Dokument dieser Vorstellung. Es verdeutlicht zudem wie noch im 2. nachchristlichen Jahrhundert, zu einer Zeit in der sich viele der sozial schwach gestellten Ägypter bereits zur neuen Religion des Christentums bekennen, die griechisch-römische Oberschicht am altägyptischen Totenglauben festhält.

 Die Mumie ist insgesamt vortrefflich erhalten. Mit wachem Blick schaut uns ein etwa 30 Jahre alter Römer mit lockigem Haar und flaumigen Bart entgegen. Sein Kopf ist leicht nach links gewandt und in einer für den alten Ägypter unüblichen Dreiviertelansicht wiedergegeben. Im Haar trägt er einen Lorbeerkranz, der mit Blattgold belegt ist und ihn vergöttlichen soll. Im Nacken und an der Brust ist seine weisse Toga zu erkennen. Der Ausschnitt im Leichentuch ist am Rand ebenfalls mit quadratischen Goldfolienplättchen verziert. Von dem Verstorbenen sind neben dem Gesicht auch Arme und Füsse zu sehen, die auf das Leichentuch gemalt sind. In der rechten Hand hält er eine rosa Blumengirlande, in der linken wohl ein Ährenbündel.

Wie Versatzstücke erscheinen dem Betrachter zunächst die auf dem Leichentuch aufgemalten Symbole und Götterfiguren. Ein Zusammenhang ist auf den ersten Blick kaum erkennbar. Zuoberst sind es zwei antithetische Falken mit weisser Krone, dann folgen zwei Udjat-Augen und die Göttin Maat sowie der ibisgestaltige Thot. Im Zentrum steht auf einem Goldzeichen die geflügelte Himmelsgöttin Nut mit Sonnenscheibe auf dem Haupt, darunter der Totengott Osiris zwischen zwei sich emporwindenden Schlangen. Den Abschluss bildet eine Sonnenscheibe mit zwei Uräusschlangen.

Betrachtet man die Motive in ihrem Zusammenhang wird folgendes deutlich: Falkenpaar und Udjataugen sollen dem Verstorbenen zunächst Schutz und Regeneration spenden. Maat und Ibis spielen zweifellos auf das Totengericht an, in dem sich der Verstorbene vor Osiris, dem Herrscher der Toten, zu verantworten hat. Der Verstorbene wird von der Göttin Maat empfangen, die die bei der Schöpfung gesetzte Weltordnung verkörpert. «Herzstück» des Totengerichts ist der Wägeakt, dem sich seit dem Neuen Reich jeder Verstorbene unterziehen muss. Dabei wird das Herz (Sitz des Verstandes) gegen die Feder der Göttin Maat gewogen. Falls die Waage aus dem Gleichgewicht kommt, ist die «Fresserin» als personifizierter «Höllendrache» zur Stelle, um das Herz zu verschlingen, wodurch der Verstorbene der Verdammung anheimfällt. Thot fungiert als Totengeleiter und Schreiber in der Gerichtshalle. Die Himmels- und Regenerationsgöttin Nut fächelt mit ihren Flügelarmen dem Verstorbenen Atemluft zu und schützt ihn zugleich. Zuunterst steht Osiris und wird von zwei Schlangen flankiert. Man könnte seine schützenden Schwestern Isis und Nephthys erkennen. Die Sonnenscheibe am Schluss steht wohl sinnbildlich für die zyklische Wiedergeburt der Sonne im Jenseits. Die offenkundige Verbindung zu Osiris könnte auch noch eine Reminiszenz an den «Sonnenlauf» darstellen, dem mächtigsten Regenerationssymbol der alten Ägypter.

Die Basler Portraitmumie gehört zu einer ganzen Gruppe von Portraitmumien, die in rot gefärbte Leichentücher (red shroud) eingewickelt sind. Rund 30 stilistisch, ikonographisch und technisch sehr nahe verwandte Mumien sind bekannt, von denen in den letzten Jahren einige von Lorelei H. Corcoran und Marie Svoboda näher untersucht wurden. Sie stammen alle aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. Nur wenige besitzen eine genaue Herkunftsangabe, wonach zumindest einige von ihnen aus El-Hawara oder El-Hibeh stammen. Hawara liegt direkt am Eingang zum Faijum und El-Hibeh nur 30 km südlich. Wo die Mumien präpariert wurden, ist unbekannt. Bei dem charakteristischen, roten Farbpigment auf dem Leichentuch handelt es sich um ein Bleioxyd, das überraschenderweise aus Südspanien, genauer aus dem Gebiet des Rio Tinto stammt, wo bereits zu römischer Zeit im umfangreichem Masse Silber abgebaut wurde.

In der mit dem Basler Exemplar vergleichbaren Mumie des Herakleides im Paul-Getty-Museum konnte mittels einer Computertomographie (CT) festgestellt werden, dass sich zwischen den Beinen des Mannes eine Ibis-Mumie befindet, die sozusagen mit eingewickelt ist. Auch in der Basler Mumie ist auf dem CT etwa an der gleichen Stelle ein Flügelpaar eines grossen Vogels zu erkennen, das ebenfalls von einem Ibis stammen könnte. Diese Entdeckung ist spektakulär und bisher nur für diese beiden Portraitmumien bezeugt. Hier stellt sich natürlich die Frage, nach dem Sinn der Beigabe eines mumifizierten Ibisses. Mir scheint hierzu nur eine Erklärung wirklich schlüssig: Thot, dem der Ibis heilig ist, gilt einerseits wie Hermes als Totengeleiter, der den Verstobenen sicher ins Jenseits führt, und andererseits als grosser Heilsgott mit magischen Kräften, mit denen er wiederzubeleben vermag. Diese Regenerationskraft wollen sich möglicherweise die Verstorbenen mit der Beigabe eines Ibisses zusichern, damit sich ihnen der Traum von einem ewigen Leben im Jenseits erfüllt.