«Märchen, Sagen und Symbole»
Leihgaben des Antikenmuseums Basel an das Liechtensteinische LandesMuseum
Autoren:
Prof. Dr. Rainer Vollkommer (Liechtensteinisches LandesMuseum),
Dr. Esaù Dozio (Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig)
In der Ausstellung «Märchen, Sagen und Symbole» begibt sich das Liechtensteinischen LandesMuseum auf die Spurensuche von Geschichten und Erzählungen. Die Ausstellung dauert vom 1. April bis 12. September 2021.
Sie erinnert den Besucher dabei auch daran, dass Geschichten und ihre Bilder auf der ganzen Welt zu finden sind, weil das Erzählen ein Bedürfnis aller ist. Mit seinen Geschichten versucht der Mensch, sich selbst zu ergründen und die Natur und ihre Geheimnisse zu deuten und ihren Sinn zu erklären. Im Mittelpunkt stehen immer wieder Fragen über die Entstehung der Welt und des Lebens, über den Plan der schicksalsbestimmenden (göttlichen) Mächte und über die Ursachen von Übel, Krankheit und Tod. Zu den großen Themen gehört auch die Kunde über Taten von Gottheiten, sowie über Heldinnen und Helden, wie sie in Mythen, Sagen und Märchen erzählt werden.
Die Leihgaben des Antikenmuseums führen uns manche der berühmtesten Erzählungen der Antike vor Auge. Es sind Geschichten, die heute noch bekannt sind und in verschiedenen modernen Medien rezipiert werden. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass sie den Menschen selbst und die wichtigsten Fragen der Menschheit behandeln. Diese Fragen haben sich im Laufe der Jahrtausende nicht verändert und prägen unser Leben genauso wie jene der alten Griechen. Gleich drei Meisterwerke des Museums zeigen Szenen aus der trojanischen Saga. Die Taten der Helden Herakles und Theseus sind ebenfalls auch mehreren herausragenden Leihgaben vertreten.
Attische schwarzfigurige Amphora des BMN-Malers. Ton. Um 540 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 495
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Die Griechen haben den Wohnsitz der Götter auf dem Olymp – mit 2918 m. ü. M. dem höchsten Berg des Landes – vermutet. Diese schroffe Landschaft war damals für Menschen unzugänglich und befand sich zwischen Himmel und Erde: die ideale Lage für übermenschliche Wesen, um dort ihre prächtige Residenz zu errichten. Genauso so wie die Götter selbst, die man sich in menschlicher Gestalt vorstellte, so fällt auch deren Wohn- und Versammlungsort durch irdische Architektur und Pracht auf.
Beide Szenen auf unserer Amphora spielen sich auf dem Olymp ab. Auf der einen Seite empfängt die Göttin Athena mit Handschlag ihren Schützling – den vergöttlichten Herakles. Der tödlich vergiftete Held hatte sich selbst auf dem Scheiterhaufen geopfert und wurde wegen seiner Taten – vor allem seines Beistands zu den Göttern im Kampf gegen die Giganten – in den Kreis der Olympier aufgenommen. Auf der Rückseite treten Hermes und Poseidon vor den sitzenden Zeus, hinter dem vermutlich seine Frau Hera und der nackte Mundschenk Ganymed stehen.
Attische schwarzfigurige Amphora des BMN-Malers. Ton. Um 540 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 495
Achill und Hektor sind die prägendsten Figuren der Ilias und zugleich die stärksten Kämpfer der jeweiligen Armee. Die homerische Erzählung beginnt mit der Verweigerung des beleidigten Achills, weiter an der Seite der Griechen zu kämpfen, und erreicht ihren Höhepunkt mit dem für Hektor fatalen Duell zwischen den beiden Helden. Unsere Vase vereint in ihrer Verzierung diese zwei Momente der Geschichte. Auf der einen Seite erkennt man die von Odysseus angeführte Gesandtschaft der Griechen, die vergeblich versucht, den griesgrämigen Achill zu einer Rückkehr auf das Schlachtfeld zu bewegen. Die zwei Randfiguren sind durch Beischriften als Diomedes und Phoinix zu identifizieren. Der alte Phoinix taucht auch auf der Gegenseite auf: hier hält er einen Krieger zurück, der als Einziger nicht namentlich beschriftet ist und auf Hektor zustürmen möchte. Hektor wird von seinem Vater Priamos zurück gehalten. Zwischen den Kriegern liegt ein geopferter Widder mit der Beischrift Pat[roklos]. Ist Hektors Gegner Achill, der den gefallenen Patroklos rächen möchte? Oder Aias, gegen den er um Patroklosʼ Leiche kämpft? Oder vielleicht ist der linke Krieger Patroklos selbst – womit sich die Beischrift sowohl auf den Widder als auch auf den Krieger beziehen würde – und das geopferte Tier könnte auf den für ihn tödlichen Ausgang des Duells hindeuten?
Attischer rotfiguriger Stamnos (Vorratsgefäss) des Triptolemos-Malers. Ton. Um 480 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 477
Attischer rotfiguriger Stamnos (Vorratsgefäss) des Triptolemos-Malers. Ton.
Um 480 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 477
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Attische rotfigurige Amphora des Berliner-Malers. Ton. Um 485/480 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 453
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Als neunte Tat des Herakles zählt eine Expedition gegen die Amazonen, ein Volk von kämpferischen Frauen, das im Kaukasus-Gebiet lebte. Das Ziel dieses Feldzuges war es, den goldenen Gürtel ihrer Königin Hippolyte zu rauben und ihn Admete, der Tochter seines Auftraggebers Eurystheus, zu bringen. Berühmte griechische Helden, darunter Theseus und Telamon, unterstützen dabei Herakles. In der Region, in der die Amazonen gelebt haben sollen, haben Archäologen Gräber von Frauen gefunden, die im Kampf gefallen und mit Waffen bestattet worden sind. Sie waren wohl die Inspirationsquelle für die Entstehung des Amazonen-Mythos.
Unsere Amphora zeigt Herakles und Telamon im Kampf gegen zehn Amazonen. Der damalige Kontext Athens prägt die Darstellung: Durch Kleidung und Bewaffnung sind die Amazonen mit persischen Soldaten gleichgesetzt, die genau in jenen Jahren an einer Eroberung Griechenlands scheiterten. Zudem ist die Pose von Herakles und Telamon von der Statuen-Gruppe der „Tyrannenmörder“ inspiriert, die mit der Tötung des Hipparchus das Ende der Tyrannis in Athen einleiteten.
Attische rotfigurige Amphora des Berliner-Malers. Ton. Um 485/480 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 453
Der Auslöser vom verlustreichsten Konflikt der griechischen Mythologie – dem trojanischen Krieg – war ein Schönheitswettbewerb unter Göttinnen. Der trojanische Prinz Paris hatte von Zeus die undankbare und folgenreiche Aufgabe erhalten, die Schönste aus Hera, Aphrodite und Athena zu erkoren. Er entscheidet sich für Aphrodite, zumal sie ihm im Fall eines Sieges Helena als Ehefrau versprochen hatte. Dadurch kränkt er aber Hera und Athena und bringt sie gegen sich und seine Heimat auf.
Die Entführung von Helena durch Paris verursacht den kriegerischen Feldzug ihres Ehemannes Menelaos, König von Sparta, und dessen Bruder Agamemnon: sie ziehen mit Verbündeten aus ganzem Griechenland gegen Troja ins Feld. Schliesslich erobern und zerstören sie die Stadt. Die Vorstufe des Krieges wird in der Ilias nicht geschildert. Sie war Gegenstand der Erzählung der Kypria, ein nur fragmentarisch erhaltenes Poem.
Auf unserer Kanne sitzt Paris im Kreis der göttlichen Kandidatinnen: vor ihm befinden sich Aphrodite mit dem fliegenden Eros und Athena mit Helm und Lanze. Hinter dem Schiedsrichter sitzt Zeus‘ Gemahlin Hera.
Apulische Epichysis (Kanne) des Chamay-Malers. Ton. Um 330/320 v. Chr. Basel, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Inv. Nr. BS 1422